Am Ende der schneeweißen neuen Brücke über den Tiber,
fertig gebaut von den Katholiken, um die Faschisten nicht Lügen zu strafen,
zwischen Friesen, Säulenstümpfen, falschen Fragmenten, unechten Ruinen
eine Gruppe von Frauen, die in der Sonne auf Kunden wartete.
Darunter auch Franca, eine, die aus Viterbo hierher gekommen war,
ein Mädchen, aber schon Mutter, die war am schnellsten:
lief rufend zur Tür meines Autos
so selbstsicher, daß ich sie nicht mehr enttäuschen konnte:
stieg ein, machte es sich bequem, fröhlich wie ein Junge,
und führte mich Richtung Via Cassia: bogen dann ab und
fuhren auf einer verlassenen Straße unter der Sonne
zwischen Gipsbaustellen und tripolitanischen Häuschen
und gelangten zu ihrem Platz: eine kleine Wiese
unterhalb einer Anhöhe mit Moosflechten und Grotten.
Ein altes braunes Pferd weiter hinten im feuchten Gras,
ein leeres Auto inmitten der Büsche
und nicht weit : hier und dort das Echo festlicher Böller:
rings herum war es voller Paare, junge und arme Leute.
In jenen Tagen waren mein Leben, meine Arbeit angefüllt,
keine Unausgeglichenheit, keine Angst bedrohte mich:
jahrelang war ich vorangekommen, zunächst durch die Gnade des Körpers,
- Sanftmut, Gesundheit und Begeisterung, die mir die Geburt gab,
dann durch ein Licht des Denkens, wenngleich noch unsicher,
- Liebe, Kraft und Bewußtsein, die ich mir im Leben erwarb.
Und doch, erstes und einziges ungeborenes Kind, es schmerzt mich nicht,
daß du niemals hier sein kannst, auf dieser Welt.
du bist wie eine erde
die niemand je gesagt.
du wartest auf nichts
wenn nicht auf das wort
das dann dem boden entspringt
wie eine frucht in den zweigen.
ein wind ist, der dich einholt.
was trocken und was abertot
das füllt dich an, geht mit dem wind.
uralte glieder und worte.
im sommer, da zitterst du.
29. Oktober 45
Tu sei come una terra
che nessuno ha mai detto.
Tu non attendi nulla
se non la parola
che sgorgherà dal fondo
come un frutto tra i rami.
C'è un vento che ti giunge.
Cose secche e rimorte
t'ingombrano e vanno nel vento.
Membra e parole antiche.
Tu tremi nell' estate.
ich weiss, jetzt weiss ich’s
nicht mische essig und rosen
so heimtückisch der sommer im schrank
hautrippe aber wird durst, sag’ ich
angelogen von uns die rücken, die sich berührten
die gläser, die extra enthüllten, die haare
die für dich von den knöcheln zu den augen
zu den schlafkragen
und grasnadeln : bänke für eine gartenszene
dies die weniger exaltierte version als die version automatique von gestern, welche diese gewesen:
weiss ich dora von jetzt an weiss ich
nicht mische essig und rosen von
heimtückisch der sommer im schrank
sag ich haut rippe und durst der wird
lügen die rücken die berühren wir sich
bis ein enthüllt die gläser konventionen bis
haare für dich die von den knöcheln augen zu
schlafkragen zu des schlafschlafensschlafs
und grasnadeln : bänke für gartenszenen
Schon vor Jahren nicht weitergekommen hiermit. Wegen „un“ „il“, kein Unterschied zwischen Nominativ und Akkusativ. Wer kränkt, beleidigt hier wen? Zweideutig, auch in der frühen Fassung: „dann traf er auf einen düsteren See, den/der - der/den blaugrüne(n) Himmel beleidigt bzw. kränkt“ - Poi incontrò un lago torvo / che il cielo glauco offende. Die einzige Möglichkeit, die Zweideutigkeit auch im Deutschen wiederzugeben, war das Femininum. Die Verlaufsform des Verbs [eine im nachhinein zurückgenommen] ergab sich mir aus der Situation des Beobachtens: es geschieht, was ich seh’. Den Titel suggeriert der ursprüngliche „Colore“. Aigner, den ich las, hat: Zwei Merkmale
1927
Ein kleiner Bach beringt die Gräser,
den blaugrünen Himmel beleidigt ein düsterer See.
eher feststellend als beobachtend im Ton... in solchen Fällen ist jedes Bessermachen ein Andersmachen, ein Lesen. Ein Auchlesen.
p.s. Das ist es wohl: in einem alten Wörterbuch fand ich „wasserblau“ für „glauco“, und so kann wohl der Himmel den düstern See beleidigen.
„Schrecken ergriff mich, als ich zum Hasen wurde,
und Akzeptieren wurde dann zur Gewohnheit.“
„Wär’s wahr, ich brächt’ mich um.“ „Welches Fatum
haben denn die Hasen?“ „Den einfachen Tod.“
„Mich beherrschte eine widerliche Angst, nachts
piepste ich und knabberte an Kohl- und an
Tabakblättern. Im Winter lebt’ ich auf Vorrat.“
„Ich will kein Hase werden, sondern ein Vogel
und mich in den Dornen verheddern.“ „Der Hase stirbt
vor Kälte, vor Hunger, vor Alter und erschossen.
Oft ist den Vögeln ein heftiger Nachtwind
genug, aus Norden zwischen den Enten
im Tiefkühlfach.“ „Herz - er auf der Terrasse -,
uns wird eine Dachrinne einfach aufsaugen
an einem Regentag, Emblem der Gewalt.“
„Schon seit langem wollt’ ich zwischen Bäumen
mich ergehen: Vogel werden und im Sommer-
Laub den Stollen entdecken, der zu der
Grundfeste führt.“ „Die Wurzeln berühren
und die Nährstoffe lecken.“ „Die Alte bellt,
sagtest du, und der Trottel ist gegen die Wand
gefahren mit dem Rad. Ärgerlich hebt er die Maske
auf von den Steinen und fällt zurück in die Ungewißheit
eines wütend sich gebär(d)enden Universums.“
„Ich rutsch’ aus beim Schwimmen: die gefährlichen Algen.
Ich versink’ in dichter Vegetation, die mich bedeckt,
und ich unter Ameisen und Laub. Ich kau’ an Federn,
fast als wär’s Erkenntnis: mit dem Licht
des Tages zwischen den Ritzen und all dem Staub
der sich erhebt in einem Wimmeln aus Schutz
und Erlösung.“
Bei den Haaren ergreift uns der Wind, es stimmt,
hinter der Wolke hält ein : ein spiegelnder Himmel:
im befleckten Schatten erreichte ihn Herzens Stimme.
Abends auf der Terrasse fuhren sie fort, glücklich:
„Wird je die Willkür enden zwischen Tag und Nacht?“
der autor hat eine anmerkung zu diesem gedicht, die ich hier wiedergebe: Ein wirklicher Dialog zwischen Freunden; einige Themen (der Baum, die Terrasse, der Radfahrer) verweisen auf tatsächliche Lokalnachrichten. Das Gedicht sondiert die Bedeutung der Wirklichkeit: menschliches und tierisches Geschick sind miteinander verbunden, doch der Mensch versucht, die natürlichen Bedingungen zu überschreiten, das Reich der Willkür, und bei diesem Versuch, diesem Suchen, wird ihm ein Moment der Hoffnung und des Glücks. Der Dialog wird durchlaufen von einem Gefühl der Zerbrechlichkeit, der Impotenz (der Ohnmacht) und der Misere, ergänzt-ersetzt-vertreten jedoch von einer intellektuellen Liebe.
Herz bedeutet cuore und verweist natürlich auf die gleichnamigen Wellen. Dieser Name mit seinen reizvollen Implikationen trägt zur Verstärkung des Realen bei, was das eigentliche Thema des Gedichtes ist. Der letzte Vers ist eine auf Novalis beruhende Kontamination: „Bisogna sempre che torni il mattino? / Non ha fine l’arbitrio terrestre?” (Ü Poggioli).
er irrt sich allerdings und bringt herz und hertz und herschel durcheinander: meint aber doch unterschwellige wellen, von denen er nichts weiß, wie bei beckett der namenlose, der sich im kohl verkrabbelt, weil man ihm erzählt hat, er sei dort mal als mensch in allem anfang abgelegt worden. ich bin den osterhasen sehr hold: sie [antworten, den satz prompt unterbrechend auf eingehende mails dito prompt]...
nach dem original von Antonio Porta mit dem Titel „Dialogo con Herz“, veröffentlicht in „I Novissimi. Poesie per gli anni ’60“, Turin (2) 2003.
mein körper der sich sucht
strebt ganz dem nabel zu
stülpt um sich wie ein strumpf
will sich nicht stopfen lassen
dient an dem licht
die lungen-stalaktiten
///
verloren? der wald ist’s
der mir folgt der meinen
schatten trinkt mich
leert ein hohler stamm:
ich blatt so zwischen
eines buches seiten
///
dem faden folgend
bis hin zu tränen
die augenscherben - und
spür’ die falten wachsen
zu ästen sich verfangen
mit schwarzen äpfeln
mal wieder blätternd in „Nel bosco“ von Elisa Biagini (sie liest am 29.-30. April in Berlin), im original:
il mio corpo che si cerca / converge all’ombelico, / si rivolta come calza / che sfugge il rammendo, / offre alla luce / le stalattiti dei polmoni.
///
perduta? è il bosco / che mi segue, che beve / la mia ombra, mi / svuota, tronco cavo : / io foglia, tra le / pagine di un libro.
///
seguo il filo / alle lacrime, / i cocci d’occhi e / sento le rughe* crescere / in rami, impigliarsi / di mele nere.
* so werden regional hier auch die raupen genannt, nicht nur die falten im gesicht, aber ich denke nicht, daß daran gedacht wird.