Montag, 15. Mai 2006

vom hund ...

vom hund
dreigeteilt
die verblutende
restschlange
zum s
sich windend

stumm

bis an die grenzen
des möglichen

öffnet weit
sich ihr maul
zum unerhörten

Salustius, Über die Götter und die Welt – 12,5

12,5 Und wenn die Menschen Böses tuend eben das Böse anstrebten, dann wäre ihre Natur selbst böse; wenn derjenige, der zum Beispiel Ehebruch begeht, der Meinung ist, daß zwar der Ehebruch böse, doch das Vergnügen andererseits etwas Gutes sei; wenn derjenige, der einen Mord begeht, dafür hält, daß zwar der Mord böse, doch die Reichtümer andererseits etwas Gutes seien; und wenn derjenige, der einem Feinde Böses antut, meint, daß Böses zu tun etwas Böses sei, es jedoch etwas Wertvolles sei, sich dem Feinde zu erwehren - und ebenso irrt die Seele in allen Dingen auf dieselbe Weise -, dann entstehen die Übel aus dem Verfolgen des Guten, gerade so, wie das Dunkel, das von Natur aus nicht existiert, daraus hervorgeht, daß das Licht fehlt. Es irrt somit die Seele, denn sie tendiert zwar zum Guten, irrt sich jedoch hinsichtlich ihrer Identität, da sie keine Ursubstanz ist.

[Salustius 12,4] <<>> [Salustius 12,6]
Einleitendes

Sonntag, 14. Mai 2006

nicht endlich ...

nicht endlich
das wiedersehen
auf dem bahnsteig
nur ein wieder
ohne ende
im ein- und einzigen
all-
(aber es zögert
der -tag...)

Freitag, 12. Mai 2006

lerche himmelaus ...

lerche himmelaus
ihr zwitschernd
darsein
erdig ersessen
mein wort
sehnt fallen-
den stein
(die fallen
des steins)

[Weiter weg von der Straße waren nur noch die Lerchen zu hören. Die Vögel warfen sich in den Himmel hinauf. Helene versuchte, eine Lerche im Auge zu behalten. Es gelang ihr nicht. Immer wieder ließ sich einer der Vögel aus dem Himmel fallen. Fiel wie ein Stein. Fing den Fall erst im letzten Augenblick auf und schleuderte sich wieder hinauf hoch in die Luft.
Marlene Streeruwitz: Verführungen]

[Wo das Meer stillsteht 5,4]

Wo das meer stillsteht (2)

1

auf dem geteerten meer wittert ein geist-weißer vogel

seinen weg zur küste - der leuchtturm bleibt
links liegen - dort, wo wir auf unser unzeitiges ende stießen

auf dem geteerten meer ist ein anker ein zerbrochener pflug

mit sich neigenden grabsteinen - schreibt ein jahrhundert
unsere namen neu
am roten felstisch werden wir gesehen beim mittagessen
auf meerwasser - das grüne freudenfeuer der kiefernnadeln wärmt das skelett
entblößt all die rostgeschwärzten zähne - und tanzt

der kleine kirchturm preßt jeden augúst in diese nacht
ein sturm - geforderte lektüre in der lektion des todes

das licht hält ein - wo immer mehr tote sich versammeln
die ankerkette ist gerissen - der anker sank tief hinab, wo säuglinge jammern
die liebenden fest umschlungen unter dem teer

nach einem jahrhundert haben die schwärze der uhr begriffen

[Wo das Meer stillsteht 5,3] <<>> [Wo das Meer stillsteht 5,5]
Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

Donnerstag, 11. Mai 2006

fernsehschwermut

in der ferne schwer ein "sie sah fern"
mut von ferne geseh'n
schwer wie die seh am grunde des meeres
fern gesehen
schwer lastet fern dein fern gesehener mut
schwer dein sehen
umsehnt dein mut
entschwerte fernen
unmutsschwer das ferne sehnen

(zu einem wort, das hier ich gefunden)

angerufen werden ...

angerufen werden
von call-centern

meine automatische
anrufbeantworter-stimme

"interessiert mich nicht"
"ja, und warum nicht?"

Mittwoch, 10. Mai 2006

dem wein ärger ...

dem wein ärger
zugesprochen
: als sonst :
drum kopfweh
beim aufsteh’n
aus dem ehebett
(seit langem
mal wieder :

sie ist ja nicht da
für ein paar tage)

Salustius, Über die Götter und die Welt – 12,4

12,4 Aus diesen Beobachtungen läßt sich leicht schließen, daß es in der Welt von Natur aus nichts Böses gibt: Denn die Übel zeigen sich als Folgeerscheinung der Aktualitäten der Menschen - jedoch weder bei Allen noch auch immer.

[Salustius 12,3] <<>> [Salustius 12,5]
Einleitendes

Dienstag, 9. Mai 2006

immer mehr ...

immer mehr
ähnelt meine
hand derjenigen
meiner mutter

sagte sie
heute morgen
im auto

Montag, 8. Mai 2006

nachlassender regen ...

nachlassender regen

mit der sehangel
grüntöne fischen
auf dem saubohnenfeld
und in gedanken
über die woche
das netz der tage
verstricken und
warten, daß es

langsam ausfädelt

Sonntag, 7. Mai 2006

mannshoch - man zog ...

mannshoch - man zog
sie diktierte das eine
ich schrieb das andere
einst in der dorfschule
so oft sie’s auch
wiederholte

klingt so mir nach
im fallenden gras
die kröte - hilflos
aufgedunsen rudernd
und unverborgen

unterm kreiselnden
motor der motorsense

Samstag, 6. Mai 2006

[Wo das Meer stillsteht 5,3]

Wo das meer stillsteht (1)

3

was eintönig ist und eintönig kopiert wird - ist kriminell
jemand, der allein auf einer klippe lebt, ist dem rand näher als die klippen
du - zerschmettert von tausend tonnen blauer felsen
augen - können nicht das zerschmettern des ozeans vermeiden
was die tage anschaut und was vom tage nackt ausgezogen wird
zeit - die hardcore-pornographie des todes

eine noch schärfer geglättete fischgräte kann niemals fehlgehen

ein tropfen bluts - hat die wasser verdünnt, das versunkene schiffe umgibt
archaisches elfenbein, doch erbarmungslos wie ein balkon
bäume - in ihren zweigen wieder grün-grüne fischschwärme

in diesem schneeweißen krankenzimmer - brütet das weiß
bloße brüste auf dächern aus - stürme
ändern jede hand, die zu sanft
des himmels beine am bettgestell befestigt

für das meer - gleitet der ozean noch sprachloser in träume
eine schabe zuckt schrecklicher als ein mensch

was vergangen und was vom vergangenen ausgespieen wird - ist nur fleisch
in dieser wirklichkeit - von dir erinnert - da ist nur längst vergang’nes fleisch
das blaue klippen ablehnt
das die flügel ablehnende meer : in stücke zerschlagen
auf deinem gesicht - schreibt jede welle mit licht die lügen-biographie
und ein den rand anstarrendes auge ist eine frische auster
wo die nekrose der letzten nacht sich endlos fort- und fortschwärzt

[Wo das Meer stillsteht 5,2] <<>> [Wo das Meer stillsteht 5,4]
Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

Freitag, 5. Mai 2006

unterm herzstein ...

unterm herzstein
begraben
fuchtelt noch
rest ins leben
(sehleben)
der mai ist
die bäume
und ausgesetzt : er
auf den blättern
i M : W i n d

Donnerstag, 4. Mai 2006

acht habe acht ...

acht habe acht
es achten deiner
nicht einmal
die lilien auf dem felde
(matth. 6,28)
so rauh dein weiß
dein reif dein eis-
blumblau - dein
maigekomm, mai
dire mai : sag
niemals nie
(ist auch was blöken
die schaf' wenn die
hund nit bell'n)

Dienstag, 2. Mai 2006

Salustius, Über die Götter und die Welt – 12,3

12,3 Falls man die Bosheit der Dämonen behauptet: Wenn diese ihre Kraft von den Göttern erhalten, können sie nicht böse sein; erhalten sie sie dagegen von anderswo her, dann sind die Götter nicht mehr die Urheber aller Dinge. In diesem Fall sind sie dessen nicht fähig, auch wenn sie es wollten, oder sie wollen es nicht, auch wenn sie dessen fähig sind, was - in beiden Fällen - einem Gotte nicht ziemt.

[Salustius 12,2] <<>> [Salustius 12,4]
Einleitendes

Samstag, 29. April 2006

grünregen ...

grünregen : im spätapril : sattgrün : zungenblau : im wolkengrau : den ohren : ein regengurgel : in dachrinnen : es rauscht : das erste laub

Freitag, 28. April 2006

jeder tod ...

jeder tod
ein langsam-
es heran-
reif-werd-en
ausgebrütet
im eig'nen
herzens-ei
pickt schnabel
tod die
lebensschal'
ent-zwei und
-drei und -vier
(was wiegt er
denn? der tod?
(im leben
für und für))

[Wo das Meer stillsteht 5,2]

Wo das meer stillsteht (1)

2

wirklichkeit - schmälert einmal mehr den dichter
ein kind hat das recht, einen bündigen tod zu offenbaren
flammen bringen körpermassen wieder zurück auf null
haß - hat die aschen des frühlingsanfangs vereint
von staubfäden ausgespieener dicker rauch - je ruhiger desto hochfahrender

der reine schrecken deines wünschens
dieser eine tag - hat den gram aller tage abgenutzt
wenn feuer - die lungenflügel würgt
meerwasser - schaut, wie mutters glieder wirbeln und verdampfen
ausgepreßt ins meer der garten des letzten jahres

aufsteigend zum zenith durch bestürzte möwenschreie
die unerlaubten tode kleiner kinder
lassen den tod - für den frühling als ersatz einspringen
eine zufällige feindschaft - die feindschaft all deiner zukunft im dunkel
weil das leben verweigert wird in diesem augenblick

[Wo das Meer stillsteht 5,1] <<>> [Wo das Meer stillsteht 5,3]
Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

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