SCHWÖRT mir die Liebste, daß sie treu: erkannt
hab ich die Lüge, will ihr aber glauben;
damit sie glaubt, ich wäre noch ein Fant,
dem schlechte Welt die Unschuld nicht konnt’ rauben.
So glaubend, daß sie noch für jung mich hält,
obwohl sie weiß, daß ich bereits in Jahren,
hab ich mich vor der Lügnerin verstellt,
daß beiderseits die Wahrheit wir bewahren.
Doch warum sagt sie mir nicht, daß sie lüge?
Warum bekenn ich ihr nicht mein Gebrechen?
Ach, Liebe liebt dergleichen Winkelzüge
und liebt es nicht, vom Ältersein zu sprechen.
Ich laß von ihr, sie sich von mir betrügen,
umlügend unsre Fehler zum Vergnügen.
„Ich hatte ein schönes Leben. Wissen Sie, was das schönste Kompliment war, daß man mir je gemacht hat. Das machte mir meine Nachbarin, die leider nicht mehr ist, und das ich nie vergessen werde. Sie erzählte mir, daß sie in Sardinien im selben Haus wohnte, in dem auch Grazia Deledda wohnte, und daß ich sie an sie erinnere, weil ich wie sie mich nicht wichtig nehme, und weil ich auch mit einem Fummel am Leib noch gut aussehe. Ich habe nichts weiter zu sagen. Und was sagen Sie dazu?“
Dario Cresto-Dina: Alda Merini, in: Internetausgabe von La Repubblica - Alda Merini starb heute im Alter von 78 Jahren.
La poesia
Sono
molto
irrequieta
quando
mi legano
allo spazio.
Wie unruhig ich bin, wenn sie mich an den Raum festbinden. - Von: hier.
beschwert und kund
mein schweres geheimnis me faisait languir
nur daß l’unique soin
était daß vor ihrem
herzen verschmachtet
das weh der einzigen sorge
„beschwert“ hieß nur „sie“
das leid zu finden
das geheimnis
daß mein tun
daß mein herz
ließ leides grund secret douloureux qui...
einer sorge voll
würd’ ich’ vertiefend
einzig meinen, d’approfondir le...
ma che vuoi da me?
french italics from “La vie antérieure” by Baudelaire, italian italics by Canio Loguercio
wachschlafen
die zeit
schlafwandeln
das wachen
die lider im dazwischen
die millisekunde
einer kugel
die das lid zerfetzt
eines soldaten
was der tod beweist
bzw. das leben
bzw. die millisekunde
wachen
Ein Ding, das mir allerdings nicht gefiel, war, als sie Spangen oder Klammern an die Haut meiner Stirn machten, so daß meine Augenlider hoch und hoch und hoch gezogen wurden und ich meine Glotzies nicht mehr zumachen konnte, egal wie ich es versuchte. Ich versuchte zu smecken und sagte:
„Das muß eine Horrorschau von einem Film sein, wenn Sie so scharf darauf sind, daß ich ihn sehe.“
Einer der Weißmantelvecks sagte smeckend: „Horrorschau ist richtig, Freund. Ein wirkliche Horrorschau.“
Burgess, Uhrwerk Orange
anderssagen
den wind
die ins lächeln
platzenden worte
freundliche
wunden als mund-
nasenohrenaus-
formung
fußgerecht
und bar aller
kenntnis den
wundern aber
doch nicht ganz
verzeih’n und
dem schon gar nicht
mein gespenst
hat schlechte laune.
das herausbrüllen seiner gefangenschaft
verwechsle ich mit einer tüte rosa
lungen (mit violetten streifen)
was halt so übrig bleibt von dem
was gewißheit dem vieh
Ivano Ferrari, Macello *) (Schlachthof), dt. von mir
Il mio fantasma
è di cattivo umore.
Scambio l’urlata sua prigionia
con un sacchetto di polmoni
rosa (striati di viola)
rimasugli
di certezze bestiali
*) In: Nuovi Poeti Italiani 4, Torino 1994 (Einaudi: Collezione di poesia 249)