Donnerstag, 10. November 2005

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den mond den bind' ich
heute ins geäst : der soll
mir nicht untergeh'n

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Kaefige

Zum Zeichen des Sieges über die Wiedertäufer wurden die hingerichteten Anführer in einem Käfig am Turm der Lamberti Kirche aufgehängt.

käfige VIII

Schreib alles auf, was du weißt. Und auch, was du nicht weißt. Alles, was du dir wünschst, was du erträumst. Beschreib auch, wovor du dich fürchtest. Schreib es in diese Hefte hinein und schreib es an die Häuser, schreib’s auf Felsen und Autos – und wenn es drüben noch Bäume gibt, dann ritze es in die Rinden.
Alban Nikolai HERBST, Thetis

Damit eine Katharsis einträte und meine endgültige Befreiung sich vollziehe...
Michel LEIRIS, Mannesalter

Mittwoch, 9. November 2005

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[Wo das Meer stillsteht 4,6]

Die gestalt der gespenster

2

der letzte tag hat zahllose türen – und läßt dich zur anderen seite gehen

im schweigen sitzen grad so wie im regen
versteigerter grund und boden – lernt zu leben, ohne zu atmen
ein an den kopf gehängter ozean wird in tausend äpfel injiziert
wenn der tod süß wird – reift auch der himmel

hätte das grün die abschiede aller verwandten gesammelt
die jahreszeiten öffneten die prächtige umfassungsmauer, um einen baum zu versetzen
dein schrecken versetzte dich ins lehrbuch

dann, wie die sterne nach dem tod, würde kein tag mehr verborgen sein
und jeder würde gespenster möglich machen

[Wo das Meer stillsteht 4,5] <<>> [Wo das Meer stillsteht 4,7]
Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

Dienstag, 8. November 2005

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alles reden ein anhäufen : um aus dem vielen : den einen text zu finden
alles schweigen ein leerräumen : um dem einen text : platz zu schaffen

vgl. Eugen GOMRINGER:

schweigen schweigen schweigen
schweigen schweigen schweigen
schweigen schweigen
schweigen schweigen schweigen
schweigen schweigen schweigen

Montag, 7. November 2005

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lineofbeauty

käfige VII

line of beauty : fleischerhaken der schönheit : zum abhängen des schinkens : im einem schwall aus stickigem rauch : hängt aber ein schinken am haken : dann hat dies etwas schönes : eine art den magen beruhigende ästhetik : er transponiert das sich im dreck suhlende schwein : in ein erhabenes : weniger schön sind allerdings : die dick per hand abgesäbelten : schwer zu kauenden : schinkenscheiben

Sonntag, 6. November 2005

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Also steuerten wir mit trauriger Seele von dannen
Odyssee, IX (ü Voß)

früh schon winkte im traume geizende zeithur’ : verderblich
sei’s zu schlafen des morgens, weckte mich sechzig sekunden
vor dem bimmeln des weckers : starrende augen und warten -
finger bäumet sich hoch, die wellen des schmerzenden schalles
jach ins reich sich des schweigens fliehen zu heißen : umsonst war´s :
pflichtbewußt mich zur arbeit mahnend erstand ich des bettes

(nach dem versfuß der zitierten zeile)

(auch als reminiszenz hierzu durchaus)

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Salustius, Über die Götter und die Welt - 7,1

7,1 Es ist jedoch notwendig, daß die Welt selbst unvergänglich und immer schon gewesen sei.
[Salustius 6,5] <<>> [Salustius 7,2]

Samstag, 5. November 2005

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Er: schwirren die gedanken gleich zugvögeln aufgescheucht von frisch gesäter saat?
Ich: irren nur gleich kompaßlosen schiffen auf nimmer endender flut.
Er: und nicht mal trunken deine schiffe, nur hölzern schwer und ungelenk.
Ich: halten ausschau nach piraten, sich kapern zu lassen.
Er: zu lassen?
Ich: so werden’s dann gestohlene gedanken, vergessen irgendwann auf ödem eiland.
Er: das dann ein sturmwind und das abtauen der polkappen zu einem namenlosen vineta macht.
Ich: was man nicht weiß, das sucht man nicht.
Er: und deine gedanken bleiben mir gestohlen.
Ich: auch mir. so bleib’ ich denn gedankenlos.
Er: möcht’ meinen, du seiest nur der ablenkung bedürftig.
Ich: das hast du gut geraten.
Er: und rat’s dir zu.

Freitag, 4. November 2005

...

ich zögere
und warte
bevor ich mich
der nächsten ecke
nähere
weil ich noch nicht weiß
was mich erwarten soll

Donnerstag, 3. November 2005

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kaefige6

käfige VI

zimmer
zimmer und küche
zimmer küche und bad
zimmer küche bad und fernseher
zimmer küche bad fernseher und pc
zimmer küche bad fernseher pc und fenster
zimmer küche bad fernseher pc fenster und tür
zimmer küche bad fernseher pc fenster tür und telefon
zimmer küche bad fernseher pc fenster tür telefon und balkon
zimmer küche bad fernseher pc fenster tür telefon balkon und du
du zimmer
du küche
du fernseher
du pc
du fenster
du tür
du telefon
du balkon
du du

Mittwoch, 2. November 2005

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[Wo das Meer stillsteht 4,5]

Die gestalt der gespenster

1

die erste sommerzikade beginnt zu weinen
die augen der toten mutter – haben dich nie verlassen
wie der himmel, den sie nacht nennen

oder was sie tag nennen
oder drückendes blau ist reiner schwarzer marmor an den wänden

eine lippe wurde zart wie gras geschnitzt
und eine zunge so verletzlich, daß sie nicht aufhören kann zu schreien
was auch immer gerufen wurde – vom tod geliehenes fleisch
wieder stirbt schatten – wird nur abgestoßen, um menschliche haut zu werden
großer weißer vogel – winziges baby

baumflügel schlagen
vom licht – gleiten furchtbar auf das licht zu, das dich bloßstellt

[Wo das Meer stillsteht 4,4] <<>> [Wo das Meer stillsteht 4,6]
Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

Dienstag, 1. November 2005

...

am tag der toten
toter tag
die sonne ist gestorben
die sterne nicht auferstanden
von den toten

am tag der toten
aller heiligen
sind auch alle tot
fahren alle zu den toten
heut’ dem leben
graben grab

nur der himmel grölt
und zucket grinsen
toter tag
dich tötet tod
allein

Montag, 31. Oktober 2005

...

Trotzdem fuhr er bis irgendwo hinauf und ging seine inneren Steigen dann zu Fuß wieder runter.
Alban Nikolai HERBST, Thetis, 345

Wenn das nicht die Beschreibung einer Kopfstiege ist, dann weiß ich auch nicht.

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Mein Vater hatte bei der Arbeit den Spitznamen „Bimbo“. Meine Mutter schämte sich dessen: „Weißt du, wie sie Papa nennen?“ Denn sie muß es gewesen sein, die es mir sagte. Selbst hatte ich ihn nie so nennen hören. War es, weil er so dick war? und deshalb vielleicht ungeschickt wirkte? Ansonsten assoziiere ich damit nur die abfällige Bezeichnung für einen Neger. Es paßte allerdings auch gut zu der geringen Achtung, die ich vor ihm hatte, bedingt dadurch, daß sein Trinken stets den Zorn meiner Mutter hervorrief.
Allerdings haben wohl Spitznamen oft den Zweck, jemanden herabzuwürdigen oder bestenfalls zu charakterisieren. Ich muß deshalb ungern an einen Spitznamen denken, den man mir einmal zugelegt hat (nur einer im Heimatdorf benutzt ihn noch, aber den sehe ich glücklicherweise fast nie, wenn ich selten dorthin fahre): die erste Version ist „Stunneck“ (man sagte mir, es habe mal eine Familie solchen Namens im Dorf gewohnt: ich kann mich nicht daran erinnern), die zweite „Stulle“, die sich daraus deformierte, aber auch hier sehe ich keinerlei Zusammenhang mit etwaigen typischen Angewohnheiten: Stullen hatten alle. Niemand hat es mir je erklären können. Es gab immer nur den Verweis auf jene Familie.
Und immer diese Familien, die hauptsächlich in den 50er und frühen 60er Jahren nur zeitweilig in unserem Dorf an der Zonengrenze wohnten (immer noch Kriegsfolgen). Wieviel Kinder, mit denen ich spielte, verschwanden von heute auf morgen (Gertrud, Waltraud, deren Vater keine Nase mehr hatte)! Einmal nur besuchten wir eine solche Familie, die nach Wolfsburg gezogen war. Klein war ich, staunte über die dortigen Kinderspielplätze (Gerüste in Form von Flugzeugen), über die Fahrstühle, an deren Knöpfe ich nicht herankam, über die Brücken, die über den Mittellandkanal ins Volkswagenwerk führten. Später, als ich dort meinen „Industriekaufmann“ machte, gab es diese Brücken nicht mehr: man ging durch Tunnel zur Arbeit.

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Ihr wollet Fürsten sein? Ich sehe Bestien nur,
Die weit die Nacht erschrecken mit Gebell.

Georg HEYM

photo by ark_et

Sonntag, 30. Oktober 2005

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Niemandsrose : Niemandsland
Niemand. Regengewölk, Wind.
Niemandsbucht : Niemand kommt
I’m Nobody! : Gelobt seist du,
Niemand : Are you – Nobody – Too?

[auch heute wieder unser kleines literarisches quiz]

Samstag, 29. Oktober 2005

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kaefige5

käfige V

sich wundern darüber, darin einen käfig zu sehen (wände (nicht so sehr die mauern, die einseitiger sind) haben den vorteil, einen raum [Raum // Noch ist ein Raum / für ein Gedicht // Noch ist das Gedicht / ein Raum // wo man atmen kann --- Rose Ausländer] zu schaffen (wörter haben den vorteil (wortteil), durch ihre selektive verwendung (verwändung) wände zu evozieren, indem sie sie benennen (nennt mich meinethalben ismael)))

Freitag, 28. Oktober 2005

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Salustius, Über die Götter und die Welt - 6,5

6,5 Auch die ihnen zugehörenden Sphären fallen unter unsere Beobachtung: der Hestia gebührt die Erde, dem Poseidon das Wasser, der Hera die Luft, dem Hephaistos das Feuer; die sechs oberen Sphären unterliegen den Göttern, denen sie herkömmlich zugewiesen werden, denn anstelle der Sonne und des Mondes sind Apollo und Artemis zu setzen; die Stelle des Chronos ist der Demetra beizumessen, der Äther ohne weiteres der Athene; während der Himmel allen gemein ist.
Auf diese Weise werden die Klassen, Kräfte und Sphären der zwölf Götter aufgezählt und gepriesen.
[Salustius 6,4] <<>> [Salustius 7,1]

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