Donnerstag, 13. Oktober 2005

...

BELÜFTUNG der Arbeitsräume *) bzw. The Fateful Window

Nun habt Ihr mich verlassen, liebste Gefährten Ihr meiner Haft,
Wie war die Zelle warm von Eurer flirrenden Melodie,
     vom Atem Eurer Körperchen, von den tönenden
     Ellipsen Eures stürzenden Fluges.

Ernst TOLLER, Das Schwalbenbuch

weil ich heute einen vogel sah : während ich draußen : mich dem flattergeräusch zuwandte : das vom hause her kam : und das ich schon drinnen zu hören meinte : aber dessen ursache ich nicht entdeckte : einen vogel hinter der fensterscheibe drinnen im haus : erschöpft hielt er in seinem flattern inne : saß einfach nur da : und schaute nach draußen ins vermeintlich weite : dann machte ich ihm das fenster auf : oder besser : vogel-ich und ich-ich : diese ichs zusammengedacht : öffnen das fenster : und fliegen davon : während sie am fenster stehenbleiben : und es wieder schließen : so denkt sich handeln : und handelt denken : unterschreibt mit dem federstrich eines kondensstreifens im morgengrauen : noch vor sonnenaufgang

Auf die Liebe zu Steinmauern und vergitterten Fenstern verfällt jener, der nichts anderes zum Lieben mehr sieht und hat. Beide Male waltet die gleich Schmach der Anpassung, die, um nur überhaupt im Grauen der Welt aushalten zu können, dem Wunsch Wirklichkeit zuschreibt und dem Widersinn des Zwangs Sinn.
ADORNO, Minima Moralia

vernetzte wunschwirklichkeit : das hatten wir schon : eine frage der projektion : potenziert durch die vernetzung : durch das zeitlich unmittelbare : des verbalen im netz : widersinnig versinnlicht : unter der eigenen haut : durch das evozierende : der projektionen : verbal gesteuerte reize : reizworte : so wird alle wirklichkeit zu einer anpassungs-tortur : gegen einen baum laufen : weil er nicht projiziert ist : gegen eine fensterscheibe anfliegen : und draußen stehen : und sehen : was sonst von drinnen gesehen wird : nur daß du dann nicht gegen die fensterscheibe rennst :

Zoyd eyeballed himself in the mirror behind the bar, gave his hair a shake, turned, poised, then screaming ran empty-minded at the window and went crashing through.
Thomas PYNCHON, Vineland

SPRECHER I: So klingt eine Glasscheibe.
SPRECHERIN I: Ach ja?

Alban Nikolai HERBST, Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen

*) sicherheitshalber schrieb ich den text vor, und zwar unter die unterbrochene übersetzungsarbeit. weil er durchaus paßt, ließ ich den titel stehen, unter dem es morgen weiter geht

Mittwoch, 12. Oktober 2005

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heiße Doktor gar
GOETHE, Faust I

längst schon aufgegeben
habe ich's am telefon
zu protestieren, wenn
im hies'gen titelrausch
dottore man mich nennt
wenn selbst der barmann
hinterm tresen frech
mich fragend anspricht
"dica dotto'!" - und gar
"buon giorno direttore!"
im supermarkt mir alle
brust abschwellen läßt

ein hohes fremdes tier
man kann nie wissen
und eben nicht von hier
o illustrissimo lettore

Dienstag, 11. Oktober 2005

...

wie tags die sonne sich
die herzen speisend labt
so lässet zur ader deine tränensäcke
mondessichel
wenn sie verschlungen
von hügels kamm
nachtdunkle schwärze kreißt
und versunken dein „das war’s“
zu himmelschreiend weh und ach
und süßem aufstrich
petit-déjeuner-gerecht
gelieren läßt

denn, sagte Scarlett O’Hara
domani è un altro giorno

Montag, 10. Oktober 2005

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[Wo das Meer stillsteht 4,2]

Abwesenheit

licht auf den körpern der lebenden ist lang schon tot
so wird das weiße – allerorten vertüncht
in der mitte niedergehalten durch aufgeschrecktes vogelgeschrei
geht fort – wie der abgesonderte himmel
ein körper, der in den ozean springt – macht den ozean zu einer wunde
dieses blau wie das blau einer schuld
dieser vom fleisch genötigte morgen übergibt
eine zementlandschaft
enthüllt – die unfähigkeit deiner augen

[Wo das Meer stillsteht 4,1] <<>> [Wo das Meer stillsteht 4,3]
Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

Sonntag, 9. Oktober 2005

...

augen-, ohren-, mund-,
nasen- und hautschlaf
(die finger (inkonsequent)
drehen den schraubenzieher
- gedankenlockenwickler)
hals-, nasen-, ohren-
sch(l)a(f)f (hausen
wie die vanda... : "was'n
das für'ne polnische
wirtschaft hier?" - sagte
meine mutter immer)

Samstag, 8. Oktober 2005

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The last shore - / View of the sea / Seal
Jack KEROUAC, Il libro del blues

zuuferletzt seh sie-gél
seesee= : see-selene
saß alleene : strandend see
sieben sandsee-siegel
sielt sich old shorehand
shore-sichtig vor-sichtig
sielbesiegelt letzt die see
nach letzten ufern schon

Lost in the blue
Pacific
Empty sea

Freitag, 7. Oktober 2005

...

gimme gimme shelter
he’s gettin’ immer älter
and after he had felt her
skinny skills dann fällt er
in den eia popeia
was raschelt im stroh
reim hebt den schleier
das weiß ich auch so

...

Salustius, Über die Götter und die Welt - 6,2

6,2 Unter den weltlichen Göttern sorgen einige dafür, daß die Welt ist; andere schenken ihr das Leben; wieder andere erfüllen sie mit Harmonie, da sie aus auseinanderstrebenden Elementen besteht; andere schließlich wachen über sie, sobald die Harmonie sie durchdrungen. Und da es sich hier um vier Funktionen handelt, und jede von ihnen einen Ursprung, ein Mittel und einen Zweck hat, ist die Zahl derer, die darüber Gewalt haben, genau zwölf.

[Salustius 6,1] <<>> [Salustius 6,3]

Donnerstag, 6. Oktober 2005

...

steckt aus der welt des hauses
rauchend seinen kopf hervor
dem regen seine ohren
zu leihen : der gibt sie ihm
nicht wieder : fließen fort und
auf nimmertschüß und –ciao durch
dachrinnen abflußrohre
(auch bücher hab’ ich nie gern
verlieh’n : kamen nie zurück)
gurgeln nun heiser damit
vogel vogel und vogel
im letzten dämmernden licht

Mittwoch, 5. Oktober 2005

...

bücken unterm walnußbaum
schmutzig=schwarz die ränder
unter schalen puhlenden
fingernägeln :
trauerränder - sagte
großmutter=anstand - und
"wenn du denkst du bist allein
mach die fingernägel rein"

Dienstag, 4. Oktober 2005

...

auf der linie des beginnens
ausgesetzt auf den bergen
hervorragend : sicher : nein
nur nach unten ragen und
täler weit die felder spreiz und
"bäumchen, bäumchen, wechsel dich"
... und kommest du aus dem tal
und stehest jäh vor dem meer
und murmelst thalassa thalassa
(so merkte er sich das
deutsche wort für "valle")
dann ... nur dann ... ungeborgen
in der abwechslungsreichen
beliebigkeit des immer gleichen
(fehlen nur noch die wiesen)

Montag, 3. Oktober 2005

...

instillier' dir einen tropfen
dunkelmond mitten ins gesicht
du aber willst die gabe nicht
verhängest firmamentengrau
das zelt und zeigst mir deine
kalte schulter unter regen-
duschen ganz herbstinniglich

soviel zur ringförmigen sonnenfinsternis, die für heute angekündigt war

...

[Wo das Meer stillsteht 4,1]

4. VERWEIGERTE GRANATÄPFEL

Purpur

der stengel der zeit – erregt diese blume einmal im jahr
die glieder sind strahlende fenster
lassen dich hören, wie du auf dem meer zerschellst
bäume gleichen erbarmungslos dem schimmern des schattens
öffnet den schatten – besitzt vergangene und künftige regenzeiten
sieht, von der rückseite des spiegels des frühlings,
wie das vortrefflichste organ eingesetzt wird
das aufreizendste paar flügel hat krankheit zur folge
staubfäden prahlen mit sofortigem tod
eines morgens gänzlich erleuchteter tod am meer
bestien in deinem körper – röter als blau
wild rennende zähne – werden schwarz von liebkosungen
je fauliger das glänzende blut, desto mehr eile hat es, die ungeduld zu verschlingen
grausamkeit – sind diese blumen
sonnenlicht so blendend hell, wenn sie saugen jeden tropfen todes
können nichts als saugen – das einzig schreckliche
meer stapelt die begrabenen farben der blütenblätter
rinnt – in diesem moment – an deinem bein herab

[Wo das Meer stillsteht 3,8] <<>> [Wo das Meer stillsteht 4,2]
Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

Sonntag, 2. Oktober 2005

...

Ich sagte freundlich zu mir selbst:
'Du bist ein Hanswurst!'

Georges BATAILLE, Abbé C'

freundlich auch sagt
die kassiererin
im supermarkt ihr "tschüß"
und meint vielleicht
genau dasselbe :
so daß dein lächeln
verlegt verlogen verlegen
sich hanswurstig und
hab-ich-auch-nichts-vergessen
gegen dich kehrt

...

weltraum

warme alte laute - treue traute traeume - am raum lauert meer - rummelt rammelwelt - martert wuermer - taumelt tuerme - warte! - mauren lallen werte um - maut leert wetteraemter - muetterarme waltet! - matte ratten retten lamm - welle rammte tram - malte uralte mauer - murmelt um altare - teert wale - umwelt-maleur - muell wartet - tell-tale art murrt - ratet mal...

Samstag, 1. Oktober 2005

...

lektüre beim augenarzt :
A V R D K F H
je kleiner desto

unschärfer leuchten
weitsichtig
A U R O R E N

Freitag, 30. September 2005

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jedes wort
ein in leerer flasche
gefangenes insekt :
du, den kopf schräg
auf die arme gelegt :
bis dir die zeit
zu lang wird
auf sein sterben
zu warten

...

Salustius, Über die Götter und die Welt - 6,1

6,1 Die Götter unterscheiden sich in weltliche und überweltliche Götter.
Weltlich nenne ich die Götter, welche die Welt machen; unter den überweltlichen Göttern machen einige die Wesen der Götter, andere den Verstand, andere die Seelen: aus diesem Grund teilen sie sich in drei Klassen, die jede für sich in den Abhandlungen zu finden sind, die diesen Themen gewidmet sind.

[Salustius 5,3] <<>> [Salustius 6,2]

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