Donnerstag, 29. September 2005

...

das leben

auf herbstes schwelle
in der stummheit
eines sonnenuntergangs

entdeckst du die zeitwelle
und ihre geheime kapitulation

wie von zweig zu zweig
so leicht
ein fallen der vögel
deren flügel nicht mehr tragen

Antonia Pozzi (1912-1938)

La vita

Alle soglie d'autunno
in un tramonto
muto

scopri l'onda del tempo
e la sua resa segreta

come di ramo in ramo
leggero
un cadere d'uccelli
cui le ali non reggono più.

18 agosto 1935

...

drei fünftel leben
dort
due quinti di vita
qui

sagt' ich
und dann
wenn's fifty fifty wird
"fado via"
a Lisbona
mit blick auf den hafen
(never been there)
wie Sean Connery
in "Casa Russia"

or something
like that

Mittwoch, 28. September 2005

...

aus dem staube sich machen
einer an übergrauten haaren
herbeigezogenen eingebildeten
vergangenheit in den spieglein
böser stiefmütter und zerknirscht
in den giftigen apfel beißen
grimassen dann schneiden in
vorgefertigten glassärgen immer
schon tot im voraus weil zurück
das glas zu scherben zerbrach
"ist der spiegel entzwei : bringt's
sieben jahr' unglück dir bei"

Dienstag, 27. September 2005

...

Es gibt nichts Menschliches, was nicht zur Falle würde, für alle Menschen: wir können nicht verhindern, daß unsere Gedanken uns ködern, ohne Ausnahme, daß sie uns nur allzu bald, wenn wir über ein wenig Gedächtnis verfügen, lächerlich erscheinen. Selbst unsere heftigsten Schreie sind diesem Spott verfallen, die sie hören, finden nicht lange Geschmack daran, sich zu ängstigen, und die sie ausstoßen, wundern sich, daß sie geschrien haben.
Das Unglück, das uns am schwersten trifft, ist meistens ebenso nichtig: nur unsere Schwerfälligkeit ist daran schuld und hindert uns, darin denselben Betrug zu erkennen wie im Tod. In Wirklichkeit gibt es für uns überhaupt nichts, was zum Verzweifeln wäre, es seien denn die Worte, an die uns unsere Unredlichkeit bindet. Deshalb ist geistige Gesundheit Sache der Stumpfsten, Luzidität beraubt des Gleichgewichts; es ist ungesund, mit dem Geist zu arbeiten, ohne zu schwindeln, da er ununterbrochen dem widerspricht, was er feststellt. Ein Urteil über das Leben hat nur Sinn als Wahrheit dessen, der zuletzt sprach, und die Intelligenz fühlt sich nur dann wohl, wenn alle zugleich schreien, wenn keiner den anderen mehr versteht: dann haben wir das Maß dessen, ’was es gibt’. (Am erregendsten ist es, wenn sie es in der Einsamkeit und durch die Erinnerung erreicht und darin zu gleicher Zeit entdeckt, was ihr Sicherheit gibt und was sie untergräbt, so daß sie es beklagt, immer noch weiterzuexistieren, und dann, daß sie darüber klagen muß.)


Georges BATAILLE, Abbé C’

...

sauer gewordene frühmilch
die luft wie styropor
lauwarmer kaffee wie blut
geschlürft aus den wunden
die da kommen werden
ich ein als ob ein wie
als wäre ein ich schon
ungläubig starret ins helle
und stumm in ir wunnecliche

Montag, 26. September 2005

...

der tag : ausradiert
vom schatten der schwingen der
eule vorm fenster



Bildquelle

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[Wo das Meer stillsteht 3,8]

Das ufer der zeit (2)

wovon wir dachten, es sei längst verstanden – ist längst verloren
niemand kann sich vom ozean abkehren
schau dich an, wie du auf den klippen des ufers stehst
stell dir vor, wie unmöglich es ist, daß ein tropfen wasser in den andern fließt
in welcher zeit der übergang zwischen zeit und zeitbegräbnis erfolgt
wie schatten – abgezogen von einem baumstumpf, den sonnenlicht anleuchtet
dem die zeit fürchtenden baum wachsen verborgen dichte schamhaare
niemand hat auch einen schatten
kinder, ausgebrütet auf der sonnenuhr der toten
werden alle fortgetragen

nur das blut, das von deinem körper herabrinnt, begreift die ablehnung, daß du
ein anderer wirst – und saugt dich auf

wie steinerne vögel auf den zweigen hocken und schwarz werden
wurdest du grün in allem, was dich umgibt – ein zeiger über der sonnenuhr
verhüllt schweigend die richtung der von der armada aufgegebenen knochen
alle meere – schlagen wieder die richtung eines von krebs erleuchteten menschen ein
wir sind ständig abgeschnitten von dem, was sich verstreut

dieses ufer erschaffen – mit einem orkan, der dem klingenden ohr einhalt gebietet
wenn die zunge nur noch rudimentär – eine salz leckende mole nachahmt
aus den wellen watende kaninchen : fix und fertig
dichter, ohnmächtig, ihren füßen zu entfliehen – schon dies ein verbrechen

schaust du zurück vom ozean, siehst du, wie das jetzt der himmel ist
himmel des emphysems – keucht unaufhörlich einen anderen himmel
hier marschiert das vergessen auf – schmerzlos erinnert
meteoriten toter fische schlagen in deinen magen ein
ein orkan – hinterläßt an jedem ufer ein hypnotisches wetter
selbst, wenn du keine angst hast
wird der oktober sich ein publikum ankleiden – und aufwachen

[Wo das Meer stillsteht 3,7] <<>> [Wo das Meer stillsteht 4,1]
Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

Sonntag, 25. September 2005

...

tisch mit sonnenbeleuchtung
und seebrise - in den seichten
wellen hopsen kinder noch
das rhythmische schwappen
die schwarzgraue sandlinie
verliert sich weit hinten
der rücken des argentario

ans holzgeländer gelehnt
"momento di pace" sagte ich
als du vom händewaschen
zurückkamst: sie rochen nach
mies- und venusmuscheln
nach goldbrasse und vielleicht
auch nach dem schweiß
den du mir aus der stirn gewischt

Samstag, 24. September 2005

...

Panstun, das wird sein, wenn ist Flimmern in der Luft.
HERBST, Wolpertinger

auf erde hinschmelzende luft
grad so wie butter zerlassen
im licht, dem so sonnigen schuft
ein irdisch' bild zu verpassen

manchmal ruft's dunkel aus der gruft
wo nächte finsternis prassen
und worte in weißfrauenkluft
den lauscher hinterrücks schassen

bis ihr blick ins auge dich knufft
und willst du sie dann umfassen
wie schnell ist hell-dunkel verpufft!

aus dem schrank holt sie zwo tassen
in die gießt sie den kaffeeduft
zucker macht daraus melassen

Freitag, 23. September 2005

...

schwarzvögel vor himmeln
zeichnen so doch immer
flugbahnen nie sich gleich
ungreifbar : vogelschrift
sag' dann "auguri" und
vago augelletto
che can=ta=ando vai

...

Salustius, Über die Götter und die Welt - 5,3

5,3 Und wäre sie Seele, wäre alles beseelt; wäre sie Verstand, alles wäre verständig; wäre sie stattdessen Wesen, alles hätte Teil am Sein: Was einige tatsächlich glaubten, indem sie in allen Dingen Wesentlichkeit vorfanden. Und wenn die Dinge einfach nur wären und nicht auch schon gut, wäre ihre Überlegung einwandfrei. Existieren sie dagegen kraft einer Güte – und haben daher Teil am Guten –, wird das, was das Erste ist, notwendigerweise höher stehen als das Sein und dem Guten gleichwertig sein. Der beste Beweis hierfür ist die Verachtung des Seins, welche die tapferen Seelen aufgrund des Guten haben, wenn sie darin einwilligen, das Leben für das Vaterland, die Freunde oder die Tugend aufs Spiel zu setzen.
Einer solch unsagbaren Kraft folgen die Klassen der Götter.
[Salustius 5,2] <<>> [Salustius 6,1]

Donnerstag, 22. September 2005

...

zumal disène
nuages ta peine
zumal la iène
les dents te prendent
zumal jesuits
c'est pas je suis
ne pas je sais
c'est pas parfait

...

begraben unter himmeln
senken ihre köpfe felderweis'
die sonnenblumen
nichts mehr, was wachsen will
nur der nachwuchs starrt
fünfköpfig übers sterben hinaus
hält an eltern statt ausschau
nach den schnittern
ob sie denn nun kommen wollen
bald : bevor noch alles
ganz von selber knickt
auf schwarzen schwanken beinen

...

Bertrecht barg abermals sein Gesicht in den Handflächen; er hatte sich vorgebeugt, die Ellenbogen nahe den Knien, und schien plötzlich zu schluchzen.
"Was ist Ihnen?" fragte Hans Deters.
"Ich möchte endlich aufhören können, Gedichte zu schreiben", wimmerte der Schriftsteller.


Alban Nikolai Herbst: Wolpertinger oder Das Blau, 228

...

das rötlich-gelbe fell
wie schlafend mitten
auf der straße und
     berührte ihre kalte hand
     bist du nun tot? nicht schon?
das rötlich-gelbe fell
und auch beim
zweiten mal kein kopf
mehr zu erkennen
     als wär' sie tot und starr
     und schlief doch nicht
das rötlich-gelbe fell
     wie schrumpelwachs
     die augenlider
kein kopf mehr dran
     die in den stein
     geheuchelte zeit

Mittwoch, 21. September 2005

...

[Wo das Meer stillsteht 3,7]

Das ufer der zeit (1)

außer sich wehte ein sturm die bäume bis an den rand – erschöpfte steine
rollen immer noch hinab

ein in der letzten nacht gestorbener vogel hinterläßt einen schrei
dies schrille schreien einer frau – sinnt hin und her im sonnenlicht

jemand, den das meer befiehlt
vermag nichts, als immer wieder nackt zu sein
so daß jedes bett am ufer aufgestellt wird
und jeder fisch deinen bauch benutzt, um einen üblen gestank von sich zu geben
fischaugen – haben das weiß versammelt, das gesehen worden
dies gellende weiß des himmels – läßt dich träumen, wenn Oktober kommt
erinnert dich im traum, daß träume nicht wirklich sind
wenn die wolken hastig weiterziehen – ersetzen sie dein eig’nes weiterziehen
flutzeit – gießt für jeden tag einen betonfußboden
der klang der ruder nach dem tod
dies kiefernnadelgrün hebt dich auf und läßt dich erbarmungslos fallen

seine von einem zebragesicht abgezogene haut, zu feldern geworden
es ist das fleisch einer uhr – läßt dich nicht gehen
während du stehst – robben wimmeln herum und bellen wie schatten so verrückt
augen, die zeit sehen, sehen zugenagelte fenster
du bist’s – der das meer alt werden läßt

das ende – monotones blau findet nicht ein einziges wort
sprache endet in deiner sprache – insel wie ein gelähmtes rückgrat
oktober endet in dem augenblick, in dem du dich vor kälte fürchtest
nackt badende reiben an einem blauen fleck, der nach dem tod entstanden
wenn das meer endlos in den tod drängt, gleicht es eher einer grenze
du selbst bist es, der in deinem ende offenbart wird – es ist das ende
das hundert jahre hell wie ein giftiger sperling glänzen läßt
wegen nichts – und erst dann verschlingt es dich

[Wo das Meer stillsteht 3,6] <<>> [Wo das Meer stillsteht 3,8]
Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

Dienstag, 20. September 2005

...

wie zufällig trafen wir uns
zu vereinbarter stunde
am vereinbarten ort
gingen ins vereinbarte lokal
und als du nach dem essen
auf den riesenmonitor starrtest
legte sich meine hand
zufällig um deinen arm
der zufällig auf dem tisch lag
und zufällig aßen und tranken wir
dasselbe mit ausnahme der beilage
grad so als hättern wir uns verabredet

Montag, 19. September 2005

...

stets harmet schluderweh
den wohlwillen und entlöcket
howl-geburten dem ach-mund :
das zeitgezeter umlindwurmt
hoffnungsgrün : wehwindarme
ihrer umpanzung entbrüsten
umsummen twolips twolips tulipan
verjagen wehwölf' mit luderlust

The kitchen window is open,
to admit air...
- to admit... to admit...

...

senkrecht schweigt der regen
den sommer tot : kein wind zerrt
schiefe wasserfäden : erdschollen
zu ockerbraunen klößen formt
der steten tropfen wasserschwall

herbstregen im septembermorgen
: vom anblick selbst schon fröstelt
haut : doch ist's nicht kälte : die
in schaudern sich entlädt : dich traf
im vorübergeh'n eines faunes augen=blick

"Man schrieb es ihm zu, wenn man ungewöhnliche Stimmen zu hören oder Gesichter zu sehen glaubete. Dion. Hal. l. V. p. 290." - Benjamin Hederich: Gründliches mythologisches Lexikon - Art. "FAVNUS"

Sonntag, 18. September 2005

...

Salustius, Über die Götter und die Welt - 5,2

5,2 Der ersten Ursache ziemt es, einzig zu sein – da die Einheit jeder Zahl vorangeht – und alles durch Kraft und Güte zu bezwingen. Deshalb nimmt notwendigerweise alles an ihr teil: denn nichts Fremdes wird ihr aufgrund ihrer Kraft ein Hindernis sein, noch wird sie angesichts ihrer Güte zum Stillstand kommen.
[Salustius 5,1] <<>> [Salustius 5,3]

Samstag, 17. September 2005

...

berthold

berthold : braunschweig : september 1980

...

handlose armstümpfe
warten vor dir auf mich
doch zu kurz war die nacht
als daß meine finger
verheddert im unterholz
der worte sich wieder
zusammenlesen und
an händen über brüste
sich wölben ließen

Freitag, 16. September 2005

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augen rennen hin und her
im traum von wort raum
zu wort traum zu war
trau schau wem : was war?

blog orlog blog orlog war
das weiß ich noch wo nicht
elstern diebische auch
rossinibusch umhäusert mich

hab ihn nun doch zuend
gelesen : den pynchon : den

a hap a chee

und das soll ich nun veröffentlichen, als sagte ich: "das soll ich nun verantworten", wo ich das doch nimmer kann

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