Donnerstag, 9. Juni 2005

...

schwalben segeln
im dämmerschein des tags
wenn dem himmel
das licht noch angehört

wenn die erde
selbst zu leuchten beginnt
flattern lautlos
fledermäuse um dich

unterm hellen
sichelmond, der schneidet
allen augen
gleißende grimassen

und die augen
entkommen aufgeschlitzt
bluten dann aus
lichtnarben dunkles jetzt

...

[Wo das Meer stillsteht 2,19]

Biographie

1. Was gelesen wird

so wie sie wachsen atmen die kiefern auf einem chinesischen friedhof
doch ruhig ändert der wind die richtung des tages
der pflug in seinem auf und ab gelangt ans ende des ackers
grün – ein fruchtbares august-buch
leben sät todessaat

nacht – sterne ziehen dahin in einem brunnen aus jade

den ganzen sommer lang liest du eine biographie
kiefernschatten in wasser getaucht
eingraviert in ein basrelief ein stuhl voller wasser
die ferne see wütet immer noch allein
vogelsang *) überschwemmt den himmel als wäre dort kein sang
du liest als hättest du nichts gelesen

da ist nur die kunst, die einen nachmittag ins schwanken bringt und schwärzt

[Wo das Meer stillsteht 2,18] <<>> [Wo das Meer stillsteht 2,20]
Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

*) arne vogelsangs weblog

...

bedrohlich schrei'n die stare
zum kirschenbaume hin und her
führ'n mich die schritte ängstlich schwer:
das wär' nun nicht das wahre

daß wie im letzten jahre
vor meinen augen alles leer
und kahl und keine kirschen mehr!
opfern am feldaltare...

ich schwör's, versprech's - indes mag wohl
die leiter helfen - und sie
die plastiktüten, sollen hohl

im winde rattern, und wie!
du aber, mit den blicken, hol
ihr kirschrot, dort: visavis

[similsonetto 3]

Mittwoch, 8. Juni 2005

...

mood

mood

...

Salustius, Über die Götter und die Welt - 3,5

3,5 Aber warum sprach man in den Mythen von Ehebruch, von Raubzügen, von Vätern, die angekettet wurden, und einer ganzen Reihe solcher Widersinnigkeiten? Oder ist unserer Bewunderung auch eine solche Bedeutung würdig: daß über offenkundige Widersinnigkeiten die Seele die Lehren sogleich als Schleier versteht und das Wahre für unsagbar hält?
[Salustius 3,4] <<>> [Salustius 4,1]

dieser absatz zumal ist eine affirmation von dichtung – das soll sich der HEIDEGGER der „Mythoscopia Romantica“ mal hinter die ohren schreiben (a.d.ü.)

Dienstag, 7. Juni 2005

...

es wiederholen, es immer wieder sagen, weil es wichtig ist für mich:

Mit den Sackgassen sprechen,
vom Gegenüber,
von seiner
expatriierten
Bedeutung - :

dieses Brot kauen, mit
Schreibzähnen


Paul CELAN

...

o spinnen die ihr fallet
am eig'nen faden herab
o spinnen die ihr webet
das netz, das eure beute hält
o spinnen, all die netze
die euch benetzet morgentau
o spinnen, in euren netzen
glänzt mir ein tag herauf

Montag, 6. Juni 2005

...

[Wo das Meer stillsteht 2,18]

Gefängnisinsel

das licht baut seinen tempel säule um säule
das licht graviert wörter in das träge braune gestein und liest am ufer des meeres
der mai ist ein hotelbett
der morgen reitet einen hellblauen, an träumen klebenden körper
den man im dunkeln geweckt
das breite blatt des meeres balanciert auf einem weinglas
ein tag geleitet dich in ein körnchen lebendigen kristalls

die inseln, die du nie erreicht
und die du nie verlassen

der pechschwarze sturm ist ein segelschiff
immer noch beklagen sich die gefangenen tränenreich in der brandung – heimwehkrank
stellen sich einen pflug vor, von ihren körpern gezogen
stellen sich körper wie körperlose vögel vor
wenn du ausgetrunken bist, kommt die flut
und achtest dein leben lang auf das versiegen deines ozeans

sickert unbarmherzig in deinen körper

das weiße maipferd sickert in die trunkenheit
galoppiert um dich herum und öffnet den grünen aufstieg und fall der haut
augen, die über gefängnisinseln hinausschauen, sind selber gefängnisse
das licht peinigt einen tunnel am grunde des meeres
hohles inselchen, dich bläht von innen
schmerz – ist unlöschbare lampe
noch mehr schmerz – das meer schießt hinter dem morgen hervor
noch ein tag schießt tief hinab in eine fatale richtung

das ende ist lang und mühselig
das ende selbst hat keins

[Wo das Meer stillsteht 2,17] <<>> [Wo das Meer stillsteht 2,19]
Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

...

labyrinth_intro

you have entered the labyrinth

...

Er: (kratzt sinnend [und summend [hinnend und hummend]] sich den Hinterkopf mit seinem Kleinenfingernagel)
Ich: Ich wünschte wohl dich anders
Er: (fliegt hinweg)
haschende hand vollbrachte luftgesten, ruderte vergeblich, kollidierte beinah’ mit einer wespe, griff spinnweben, schüttelte sie fort, winkte schließlich verdrossen dem punkte zu, an dem er sich ans blaue himmelszelt genagelt. da hanget er nun, kratzt fort und fort, es rieselt sein schorf und bestaubet feld wald und flur, und auch die bücherregale und den schreibtisch, das auto auch - nein, das war wohl doch eher der idiotische jeep-fahrer gestern, der mich auf der unbefestigten straße partout überholen mußte, weil er etwas pummeliges dabei hatte, dem er wohl zeigen wollte, wie geil sein jeep und ergo er wohl sei (ich umfangen von einer zwar weißen aber unhimmlischen wolke) -, gleichwohl substrat, mit dem finger in es (das staubige) hinein zu schreiben, z.b. „wasch mich“
Er: (läßt ein H fallen)

Sonntag, 5. Juni 2005

...

Salustius, Über die Götter und die Welt - 3,4

3,4 Darüberhinaus verleitet der Anspruch, Allen die Wahrheit über die Götter zu lehren, die Törichten zur Verachtung, wegen ihres Unvermögens zu lernen, und die Ernsthaften zur Lässigkeit; während das Aufdecken der Wahrheit durch die Mythen den Einen die Verachtung unzugänglich und den Anderen die Liebe zur Weisheit unvermeidlich werden läßt.

[Salustius 3,3] <<>> [Salustius 3,5]

...

guten tag meine name ist ich bin verrückert dies ist mein liebertagebuch die buchstaben r, s, b, d sind austauschbar auch wenn ich das wort hasen oft mit zwei s schreibe das macht aber nichts, sofern es sich ja doch immer um eine fortbewegung handelt nicht schon um eine hinbewegung, und schon gar nicht um eine pendelige hin- und herbewegung wenngleich es über dem häschen in der grube bedrohlich abwärts schwingt und das zittern des atems das aufgeregte quieken der ratten fast schon pneumatisch zur metapher erhebt wenn ich's jedoch recht bedenke ist in der fortbewegung aber doch eine hinbewegung enthalten nur kennt man beim panischen weglaufen nicht den punkt der das fort immer in ein hin verwandelt insofern also hin ein synonym für ziel und fort für start (was interessante aussagen erlaubt: zum starten eines motors drückt man auf "fort", die hins unseres unternehmens stehen ganz im zeichen einer philosophie der quälität, sich fortbereit machen, mehr erfolg durch hingerichtete krebstherapien, unser fort heißt Laramy) das her ist dabei nicht so sehr start als ausgang/ursprung dem eine flucht entspricht und somit für alle DPs wie mich gelten mag, denen jedoch auch ein paniksubstrat als luftkissen dient - wie sonst schnell den ärmelkanal überwinden...

wildes denken

Samstag, 4. Juni 2005

...

Er: friendship first competition second.
Ich: uuuh, die uralten chinesisch-lektionen der kommunistischen volkszeitung!
Er: hast dich ja selber mal hung tschu tse genannt...
Ich: vergiß es.
Er: warum?
Ich: lektüre-reflexe: das buch me-ti.
Er: das nennt man dann weisheiten, die der exotische preis qua v-effekt in der gedankenbörse attraktiver erscheinen läßt. je weiter fort, desto hopp!
Ich: kyniker!
Er: chinesen essen sowas gern: hundefleisch...
Ich: dann laß dich dort lieber nicht blicken!
Er: gleich so empfindlich! chinesen gibt's auch im okzident, und was hunde da zu fürchten haben, kann man beispielsweise in "Timbuktu" vom Auster-Paul nachlesen.
Ich: ich weiß, ich weiß. und die schaufensterpuppen in der nähe der piazza vittorio sind denen von shanghai absolut identisch: ich sah's im fernseh'.
Er: sixt, das meer steht still.
Ich: wo?
Er: na, hier.
Ich: wo?
Er: (zeichnet mit dem finger einen strich im fingerdicken staub vor der bücherreihe, deren autoren mit dem buchstaben V anfangen)
Ich: in jedem satz steht das meer still, selbst wenn die welle sich hoch hinauf türmt, immer steht das meer still, welches bild könnte wohl eine welle hinabstürzen lassen.
Er: genau! drum bleibt dir nichts anderes übrig, als das meer stillstand für stillstand dennoch am ende dich überfluten zu lassen, bis du unter wasser dann stille schwebst und endlich selber nur noch fisches nachtgesang zum besten gibst.
Ich: °°°°°°°°°°°°
Er: danke!
Ich: °°°°----sch°°°°
Er: w?
Ich: n... ich°°° meinte --- ein...

Freitag, 3. Juni 2005

...

[Wo das Meer stillsteht 2,17]

Leben eines porträts

dieses gefängnis ahmt alle eure stillen körper nach
die in einer biographie ausgelassenen nebenrollen
leben nur      ihre verurteilung abzubüßen

auszusetzen wieder die abgetrennten köpfe
auf der kleinen, tag für tag zugeteilten klippe
köpfe, die aus dem rahmen der dämmerung schlüpfen

alle mit abgebissenen zungen
wie eine familie      die im regen schwarz wird
in flügeln aus beton eingelegtes laub grünt blatt für blatt

der schrille schrei getretener mäuse oder schlangen
ist sicher rot      läßt mitternacht pünktlich in dich eintreten
erklärt das längerwerden des weißen leeren blicks

niemand kehrt zurück nach dem tod, sich selbst fortzunehmen
und niemand      wagt es, sich zu betrachten
das bad zu durchqueren und in einen anderen unerträglichen morgen zu schreiten

[Wo das Meer stillsteht 2,16] <<>> [Wo das Meer stillsteht 2,18]
Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

Donnerstag, 2. Juni 2005

...

die sprache
die ich suche
verbirgt sich
gleich den kartoffel-
sammlerinnen
die sich kichernd
im hohen getreide
niederhocken

Mittwoch, 1. Juni 2005

...

immer staut sich dunkles
hinter den sich stapelnden
stauworten
auch die bilder ertrinken
die ich in den stausee werfe
in jeder aufsteigenden blase
ihre gestorbene luft und
immer mehr totes
zum atmen

Dienstag, 31. Mai 2005

...

Salustius, Über die Götter und die Welt - 3,3

3,3 Warum sie hingegen göttlich, ist eine Untersuchung, die der Philosophie obliegt.
Da sich also alle Dinge der Ähnlichkeit freuen und die Unähnlichkeit von sich weisen, mußten auch die Lehren über die Götter ihnen verwandt sein, damit sie sich ihren Wesen würdig erwiesen und zugleich ihren Autoren die Gunst der Götter erwarben, was tatsächlich nur dank der Mythen möglich wurde.
Deshalb ahmen die Mythen entsprechend dem Sagbaren und dem Unsagbaren, dem Verborgenen und dem Offenbaren, dem Offenkundigen und dem Geheimen die Götter selbst nach.
Sie ahmen überdies deren Güte nach: Denn die Götter machten die aus der sinnlichen Sphäre stammenden Güter Allen zugänglich, diejenigen des Verstandes jedoch nur den Verständigen, so offenbaren die Mythen Allen die Existenz von Göttern, doch wer diese sind und von welcher Natur, das offenbaren sie nur denen, die des Verstehens fähig.
Sie ahmen schließlich deren Tagesereignisse nach. Denn auch die Welt kann ein Mythos genannt werden, da sich in ihr Körper und Gegenstände offenbaren, während die Seelen und die Intelligenzen sich verbergen.

[Salustius 3,2] <<>> [Salustius 3,4]

...

erdenschwer einer sonne untertan
bis hinauf zu den hüften im staub
hände rudern, häufen noch mehr staub
um hals und kinn, füllen mund, nase
ohren und leer geword'ne augenhöhlen
die schon längst unterschlupf bieten
den fossilien deiner vorvergangenheit

...

(...)
Doch wenn einmal ein Löwe vor euch steht,
Sollt ihr nicht das Insekt auf ihm besingen.


Georg Herwegh, Den Naturdichtern

Montag, 30. Mai 2005

...

vor den türen warten
ohne anzuklopfen
bis sie verwittern oder
jemand herauskommt:
straucheln soll er und
das haus soll brennen
das mein draußen
durch ein drinnen
offenbart

Sonntag, 29. Mai 2005

...

[Wo das Meer stillsteht 2,16]

Gewalt im wald

an gebrochenen hälsen verknotet      zieht der himmel den kragen hoch
noch wüten schlachtrufe      der himmel hat begonnen, fleisch zu essen
wälder senken ihre köpfe      und der himmel lacht in weiter ferne
baumstümpfe stapeln sich      der himmel hat vergessen

das ist die gewalt, die du jeden tag siehst

grüne füße laufen herdenweis’
dem tode zu in einem schweigen, das immer tödlicher wird
hören den himmel      zufrieden füllen sie die erde hinter sich

gewitter      verwandelt dich in ein durchweichtes hackbrett
wie süß dem ohr ein messer, das auf den rücken einhackt
die grammophonnadel des sonnenlichts kratzt auf den jahresringen      nie werden sie wieder kreischen
baumstämme       erreichten mit mühe die wahrheit ihrer verwendung

das ist alltägliche gewalt

himmel      fällt den wald, denn er wird menschlich
denn menschen bluten nicht jeden tag
grad so wie du      in frieden und ruhe      deinen endlosen tick genießt

das ist alltag

[Wo das Meer stillsteht 2,15] <<>> [Wo das Meer stillsteht 2,17]
Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

Samstag, 28. Mai 2005

...

das grüne getreide
reglos wie gelähmt
nur die ähren neigen
doch kein nicken
auch kein nein

das grimme gedonner
rasant hat’s gezuckt
nur die wolken schweigen
deinen blicken
dunkelschein

ein grobes geraschel
ruppig kommt’s gestürmt
und die blätter zeigen
nun den rücken
sind nicht dein

...

Geh' ich, so wird der Schade größer!
Bleib' ich, so wird es auch nicht besser!


GOETHE, Zahme Xenien IV

Freitag, 27. Mai 2005

...

ertrunken im vogel-ich
dessen eierschale
zu dick für den
kraftlosen schnabel

...

Salustius, Über die Götter und die Welt - 3,2

3,2 Daß die Mythen göttlich sind, ist eine Schlußfolgerung, die sich aus denen ziehen läßt, die davon Gebrauch gemacht haben. Unter den Dichtern, die angehauchten; unter den Philosophen, die besten; die, welche die Mysterien gestiftet. Schließlich bedienten sich die Götter selbst der Mythen in den Orakeln.

[Salustius 3,1] <<>> [Salustius 3,3]

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