Montag, 14. März 2005

...

monden ein ohrring für
die lauscher der nacht

ins gewirr der eichenäste
entführt meinen blick
ein senkrecht sich bäumender
großer wagen – septem triones

das suchte ich doch
dorthin wollte ich doch
da weiß ich doch was

wären nicht die dicken äste
an denen gestern gehenkte
baumelten beim durchzug
mordbrennender schweden

hätt'ich doch keine blauen augen!

Sonntag, 13. März 2005

...

YANG LIAN

WO DAS MEER STILLSTEHT

Dt. von mir nach der englischen Übersetzung aus dem Chinesischen von Brian Holton und der davon gefertigten italienischen Übersetzung von Claudio Pozzana, damit ich mir gleich denen, die in den Museen die Gemälde in den Zeichenblock skizzieren, der auf ihren Knien ruht, besser die Bilder zu eigen machen kann, die darin enthalten.*)

1. DUNKELHEITEN

Frühling, eines flusses schmerz
in deiner liebe

eines vogels helle angst in deinem starren blick
eines flusses schmerz in deiner liebe

ein zersplitterter tag     hält dich davon ab, dieses
von schneeweißem eis hochgetürmte flußbett in einem
blickfeld zu umgehen, in dem dicht die notizhefte sprießen
jeder baum schlägt dir entgegen
wie die wunden der nebenflüsse eines gedichts

in einem tropfen wasser     die toten allüberall
draußen vorm fenster     je heller das sonn'licht desto lebensechter das krebsgeschwür
ein junge verschwindet dort wo er fällt
ein körper hört     unerkannt das laute klagen des blutes

in dir weinende liebe     aus den fleischfarb'nen flügeln in der luft
ein hautloser fluß     schmerzt die ganze nacht hindurch
bedeckt mit deinem einen tag jedermanns gestern
barfuß die schatten im grase durchwatend

blumen lassen sich vormerken für künftige operationen
je mehr der frühling schwallt desto mehr gleicht er einem traumlosen menschen
wenn nichts gesagt wird     kein fluß kann von dir fort fließen

da ist nichts     als was du stets erduldet in dunklem mark
alles lebendige     hicke-di-hack      hicke-di-hack

das ist alles     wieder vorbei

 

*) Das entsprechende Buch erschien 2004 im Verlag Libri Schweiwiller (Mailand).
Übersetzungsrechte wurden nicht erworben. Sofern also diesbezüglich rechtliche Bedenken
geltend gemacht werden, bitte ich um Nachricht an hsch @ libero . it.



könnte weitergeführt werden

[Wo das Meer stillsteht 1,2]

...

das gras wie gestern
der baum wie gestern
das feld wie gestern
nichts geschieht in der natur
alles IST nur immer etwas
anders als vor einem tag
einer woche einem monat

auch der schmerz IST
nur anders als gestern

was geWORDEN ist
war gestern und ist heute
nur eben anders

ich lecke die grashalme vom
baum und stapfe dann übers feld
wenn es nicht geregnet hat, setze ich leicht versetzt den fuß in die spuren von gestern
der regen weiß, was ich vergessen muß
erinnern – das wiederkäuen der unverdauten mahlzeiten
die augen weiden – die ohren schmatzen – die nase wühlt in den eingeweiden
aus dir wird nie etwas – sagte ich zu der statue, die mir im wege stand
doch – sagte die statue, die mir im wege stand – sand

Samstag, 12. März 2005

...

nervenbaums äste vor einem
asche ist grau ist himmel ist grau
mählich sich schwärzend im wind

ans nurmehr bilderlose fenster klopft
in töne verwandelt das eidyllion
der grün schon aufgehenden saat

Freitag, 11. März 2005

...

stundenlang im traum
versucht den rechten
mittelweg zu meiden
in tausend und aber-
tausend varianten

von all dem hin und her
erschöpft wachte ich auf

Donnerstag, 10. März 2005

...

die weißen wolken
am himmel ziehen spurlos:
kein wiederfinden

[haikulastige litblogs]

Mittwoch, 9. März 2005

...

das herabgefallene wimpernhaar
zwischen deinem und meinem
zeigefinger und der, dem’s am
finger haften bleibt, darf sich was
wünschen – doch zu spät
so sehr du an mir herumsuchtest
mein wimpernhaar blieb verschwunden
in den dunklen falten meiner kleider

was aber hätte ich mir schon
wünschen können
als das was ich längst weiß
aber vielleicht
nicht wissen will

...

im widerschein der
fensterscheibe hängen
schräg gegen die
richtung des windes
rücken von büchern
herab aus abend-
schwarzen wolken

Dienstag, 8. März 2005

...

atme immer weiter
die welt ist voller eiter
klettre auf die leiter
die welt wird immer breiter

bis sie dann nicht mehr
breiter wird und - au contraire -
immer kleiner wird - schwer
zu sagen ob ich größer wär

würd' ich heiter
immer weiter
ungescheiter
und da schreit' er
ein gefreiter
kriegsdienst meid' er
sucht er seit er
hier verscheid' er
...

...

...die lippen die sich vor dir bewegen

...so etwas wie ein unterstreichen
des blickes (klingt komisch: "des blickes"
(so ein genitiv verdreifacht das einfache
(und verkompliziert : zwar nicht den sinn :
aber doch : die aufeinanderfolge der
silbern klingenden silben-silben)))

...die lippen die sich vor dir bewegen

heischen akustische weite

...die augen die synchron zu den lippen
sich weiten und engen

heischen ich und du

(ichwa(h)rnichttbinnichtnichtbinseinsiesieseidu)

Montag, 7. März 2005

...

das fassungsvermögen eines gesichts : mißt sich nicht so sehr an der breite der wangen : als an der weite des blicks : die lippen die sich vor dir bewegen : [in diesem moment setzte sich jemand neben mich im zug...]

...

Es gibt eine gar nicht so seltene Persönlichkeitsstörung, die unter dem Namen Tannhäuserismus bekannt ist. Manche von uns begeben sich gerne ins Innere von Bergen, und durchaus nicht immer mit lüsternen Erwartungen - Venus, Frau Holda, körperliche Freuden -, nein, viele kommen in Wahrheit wegen der Gnome, der Bergmännlein, die kleiner sind als du, wegen der Grabesstimmung, mit der die Zeit hier unten deine vermummten Wege überwölbt, schweigend durch eine meilenlange Folge von Höfen, ganz ohne Angst, dich zu verirren... keiner starrt dich an, keiner will dich taxieren... unsichtbar für öffentliche Augen... selbst ein Minnesänger will mal alleine sein... lange Regentagsspaziergänge in überdachten Räumen... die Tröstung eines abgeschlossenen Ortes, an dem sich alle einig sind über den Tod.

PYNCHON, Die Enden der Parabel, 468f.

Sonntag, 6. März 2005

...

durch schlamm
und dornengestrüpp
dorthin wo ich weiß
daß mir niemand
begegnen wird

im stiefel schmilzt
ein stück schnee
das ich unter den
fuß rutschen lasse

Samstag, 5. März 2005

...

ich fahre an ihm vorbei : nehme seine worte mit : und rufe aus dem fenster : daß sei ja gar nicht so : ich fahre zurück : kehre ein in seinen worten : und verbrenne mir die zunge : an zu heiß serviertem : ich fahre fort : und nehme einen blick : von ihm : zum beifahrer : der dirigiert mich in die wüste : wo der zeitsand wohnt : ich komme nicht weiter : sein blick hat sich verloren : ich stecke fest im sand : ohne gestrandet zu sein : das war Es

Freitag, 4. März 2005

...

Gesprochene Worte sind in ihrem materiellen Bestand etwas Physikalisches, ihrer Hervorbringung nach etwas Physiologisches und im Hinblick auf ihre Absicht und Wirkung etwas Psychisches. Der Prozeß des Verstehens beginnt mit einer Perzeptionsleistung des Phonorezeptors, dessen adäquater und spezifischer Reiz Luftschwingungen und Schallwellen sind. Auf das Ohr treffen bestimmte physikalische Strukturen, die das Erzeugnis einer physiologischen Tätigkeit der peripheren Sprechapparatur eines anderen Individuums sind. Der Sprecher bietet die Tätigkeit bestimmter körperlicher Organe auf, um bestimmte physikalisch-materielle Gegebenheiten hervorzubringen; der Verstehende bedient sich der Organe des peripheren Schallsinnessystems, um die empfangenen physikalischen Strukturen zunächst in etwas Physiologisches zu verwandeln. Beim Sprechakt erfolgt eine Transposition von Physiologischem ins Physikalische. Die phonatorisch ausgeatmete Luft ist nichts Physiologisches mehr, sondern in dem Augenblick, da sie die Mundhöhle des Sprechers verläßt, etwas Physikalisches: sie wird zur tönenden Masse, deren Schwingungen sich nicht mehr mit dem langsamen Expirationsstrom, sondern mit der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalls im Raum verbreiten, und zwar kugelhüllenförmig mit der Schallquelle als Mittelpunkt. Beim Empfänger der sprachlichen Sendung vollzieht sich der ganze Prozeß in umgekehrter Richtung.
Friedrich KAINZ (zitiert nach Ferdinand KRIWET "durch die runse auf den redder")

...

er hallbierte den abfäll in 2 helften, nahm die 1 helfta und halbierte diese 1 helphte, nahm die 1 helpfte der 1 höhlfte, schnitzte das kerngehäusefragment fort und scheelte die 1 helft! der 1 hemisphäre des apphels : aß
er nahm die andere helpfte der 1 höhlfte, schnitzte das kerngehäusefragment fort und scheelte die andere helft! der 1 hemisphäre des apphels : aß
er nahm die andere helfta und halbierte diese andere helphte, nahm die 1 helpfte der anderen höhlfte, schnitzte das kerngehäusefragment fort und scheelte die 1 helft! der anderen hemisphäre des apphels : aß
er nahm die andere helpfte der anderen höhlfte, schnitzte das kerngehäusefragment fort und scheelte die andere helft! der anderen hemisphäre des apphels : aß
die abwell-schale und das gerngehäuse dwarf er in den apfeleimer

...

gehöckert auf dem stuhlgrab
an der heizung
den blick in die ecke verbannt
wo fußboden wand treppenstufe
den dumpfen anprall
unartikulierter gedanken
von den fluch(t)linien
der fliesen und kacheln
in die spitze ihrer hohlen
dreieckspyramide zerren

den blick abwendend
ein fliesengesicht
wie ein kissen aus dem
eine nase sich wölbt
in dem zwei lippen
verstummend sich öffnen
die augenknöpfe geschlossen
schauen nach innen
in dich hinein

Donnerstag, 3. März 2005

...

tränend am wegesrand grüßten mich seine verkniffenen augen : falten an augenwinkeln fächerten : leid : „so wehbeladen : daß du weinest?“ : „o still : der dichter starb : im schlafe.“ : „entschlief?“ : „entschlief in hohen jahren zwar : doch haben dichter weder zeit noch ort.“ : „heimatlos...“ : „sie wohnen in den worten : die sie der zeit geraubt.“ „nicht, daß sie mit kanonen : auf zeitspatzen schießen...“ „auch das kommt vor : diese dichter aber : sind so volatil : wie die spatzen selbst.“ „taschendiebe also?“ „fallensteller! : die der zeit : unheilbare wunden schlagen : daß sie verendet : in ihren worten.“ „verstehe : zeitloses zeit-los : aller körper- und seelenverhaftung entbunden.“ „...und anheimgegeben den : seienden und sein werdenden : körpern und seelen.“ „also nicht wohnet der dichter : sondern das wort!“ „auch.“

[am sonntag legte sich der dichter Mario Luzi ins bett, am montag wachte er nicht auf, gestern ward er begraben, dieweil er immer noch nicht aufgestanden seitdem, so daß man der durchaus triftigen annahme war, er sei tot]

Mittwoch, 2. März 2005

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lügenrost auf dem blech : abgegriffener bilder : scheppern dennoch fort : mit knalleffekt und getöse : zweckloser gehörschutz : je mehr wachs in den ohren : desto lauter das scheppern : bleibt nur noch : der trost der gegenlüge

Dienstag, 1. März 2005

...

nicht sagen : die sonne scheint
sondern

jetzt weiß ich
wo die stufe abwärts geht
über die ich heute nacht gefallen

jetzt weiß ich wieder
welche farbe der dunkle schatten hat
in dem ich nachts schlafe

ich erinnere mich
auch gestern hier gewesen zu sein

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