wer wird noch sagen können
ich hätte keinen mut, ginge nicht
unter leute und sei nicht begeisterungsfähig?
schlange stand ich heute, fast
eine halbe stunde auf der post;
die ganze reihe entlang, schritt
für schritt, schnupperte am
gräßlichen geruch der männer
der alten und auch der frauen, spürte
wie hände meinen hintern berührten
die hüften vorwärts schoben. erkannte
den ekel wieder und ließ ihn dort
wo er war, mein körper
angefüllt mit schweiß, viel fehlte nicht
an einer pneumonie. nicht um eigenliebe
geht’s : um die abscheu vor den andern
wo ich mich wiedererkenne.
Patrizia Cavalli, in: Poesie (1974-1992), Turin 1992 (dt. von mir)
parallalie - 3. Jan, 18:15
stille der nächte, abendkühle
funkelnde welten, unermeßlich
höhlen, die schweigen und schwarz
ihr schlagt die seele in bann
sonnengeflitter, buntfroher sinn
lautes treiben - den seichten gefällt’s
nur den dichter sucht heim
liebe zu ruhigem sein
Charles Camille Saint-Saëns
(dt. von mir - das frz. Original bei
svarupa)
parallalie - 3. Jan, 18:12
SCHLAFLOSIGKEIT
Nekropole von Pantalica
ein froher hauch von gefiedertem
widerspruch dem grünen licht:
das meer in den blättern.
ich: dissonant. und alles, was mir zur freude entsteht,
zerreißt die zeit; ein schwaches echo
hegt sie davon in baumesstimme.
die liebe zu mir verloren,
unmenschliches gedächtnis:
auf die toten strahlen himmlische wundmale,
gestirnte körper steigen in die flüsse:
es mattet leise eine stunde milden regens,
oder regt ein singen in dieser ew’gen nacht.
seit jahr- und jahren schlafe ich in der
offenen grabkammer meiner erde,
algenschultern gegen graue wasser:
in der stillen luft donnern meteore.
SALVATORE QUASIMODO (dt. von mir)
INSONNIA
Necropoli di Pantàlica
Un soffio lieto d'alati
a verde lume discorde:
il mare nelle foglie.
Dissòno. E tutto che mi nasce a gioia
dilania il tempo; un'eco appena
ne serba in voce d'alberi.
Amore di me perduto,
memoria non umana:
sui morti splendono stimmate celesti,
gravi stellati scendono nei fiumi:
s'affioca un'ora di pioggia soave,
o muove un canto in questa notte eterna.
Da anni e anni, in cubicolo aperto
dormo nella mia terra,
gli omeri d'alghe contro grige acque:
nell'aria immota tuonano meteore.
parallalie - 26. Okt, 12:46
1
Dich ruf’ ich an, durch die sich dreht und regt
Die gütigste und sanfteste der Sphären,
Amors heil’ge Mutter, Tochter des Zeus,
Schöne Göttin aus Amathunt und von Kytheren;
Dich, deren Stern, d’raus alle Anmut quillt,
Nacht auch und Tag als Botin sich ehren;
Dich, deren fruchtbar=, helle Lichterstrahlen
Die Welt erfreu’n, die Himmel heiter malen.
2
Du nur vermagst, daß man irdisch genießt
Heiterer Muße in friedlichem Stande.
Janus, bezähmt, schließt den Tempel für dich.
Den Zorn legt besänftigt Furor in Bande,
Maßen der Waffen und des Krieges Gott
Oft schmachtet als Geisel - dir nur zum Pfande;
In Frieden dann, mit den Waffen der Wonnen
Führt Krieg er und ins Bett die Kolonnen.
Aus "L'Adone" von
Giambattista MARINO (bloß, das Ding hat über 1300 Seiten!).
parallalie - 27. Aug, 10:12
Felsen und Sand und kein Wasser
Sand, den seine Schritte besäen
ohne Zahl, bis hin zum Horizont:
Er floh, und Niemand, der ihn verfolgte.
Zermahlen, erloschen das Geröll
vom Wind zernagt das Gestein
gespalten vom wechselnden Frost
trocken der Wind und kein Wasser.
Kein Wasser für ihn
der nichts brauchte als Wasser
Wasser zum Auslöschen
Wasser, ein wilder Traum
unmögliches Wasser, um sich zu läutern.
Bleierne Sonne, strahlenlos
Himmel und Dünen - kein Wasser
Ironisches Wasser der Fata Morgana
Wertvolles Wasser, dräniert in den Schweiß
oben - unentbrannt - das Wasser der Zirruswolken.
Er fand den Brunnen und stieg hinab,
tauchte die Hände ein, und das Wasser ward rot.
Niemand konnte je wieder davon trinken.
12. Januar 1984
Primo LEVI (dt. von mir)
parallalie - 23. Aug, 13:12
... und schon ist es Abend
Ein jeder weilt allein am Herzen der Erde
durchbohrt von einem Sonnenstrahl:
und schon ist es Abend.
Salvatore QUASIMODO
Ed è subito sera
Ognuno sta solo sul cuor della terra
trafitto da un raggio di sole:
ed è subito sera.
parallalie - 21. Aug, 18:21
Ganz in Gedanken ein Wäldchen streifend...
(Franco Sacchetti - um 1330 bis 1400)
Ganz in Gedanken ein Wäldchen streifend,
waren Frauen drin, nach Blumen schweifend,
- Diese hier und jene hier -
erklang's - Oh, da! wie fein! -
- Was ist's, oh sag, was ist's? -
- Eine Lilie, die ist mein! -
- Pflück rasch die Veilchen dir. -
- Ah! was sticht das Dornenzeug! -
- Die da schafft's, das sag' ich euch. -
- Ei, ei, was springt denn da? -
- Mich dünkt's 'ne Grille, nein? -
- Kommt her, oh, eilt herbei:
sammelt die Rapunzeln ein. -
- Die da? sind keine, na?! -
- Doch, doch, sind welche! -
- Du da,
oh du, ja,
komm her,
komm her:
der Pilze wegen. -
- Da drüben,
da drüben,
seht doch, die Kräuter. -
- Laßt uns eilen,
das Wetter ist gar nicht geheuer! -
- Blitze zucken! -
- Donner rucken! -
- Schon läutet's Vesper. -
- Aber nein! Noch nicht mal die Non'! -
- Hört, hört,
der Nachtigall lieblichen Ton:
"Hübsche Maid,
Lieb' und Leid." -
- Ich spür'... mir fehl'n die Wort'... -
- Was denn? -
- Ja, was und wo? -
- In dem Busche dort. -
Die Hand hinein, hinaus und wieder 'nein,
dieweil Getöse auf Getös' sich türmt,
und eine Natter kommt herausgestürmt.
- Oh, daß dich...! - Elendige! -
- Weh mir! -
Und wie sie voll Angst die Flucht ergreifen,
da regnet's herab in dicken Streifen.
Die eine rutscht,
die andere fällt,
noch eine sticht sich den Fuß.
Zu Boden geh'n Girlanden;
die läßt, was sie gesammelt, jene straucht:
glücklich die, die zu laufen vermag.
So starr stand ich und schaute ohne Unterlaß:
kaum merkt ich's, und ich war - plitschnaß.
Passando con pensier per un boschetto,
donne per quello givan, fior cogliendo,
- To' quel, to' quel - dicendo.
- Eccolo, eccolo! -
- Che è, che è? -
- È fior alliso. -
- Va' là per le vïole. -
- Omè, che 'l prun mi punge! -
- Quell'altra me' v'agiunge. -
- Uh, uh! o che è quel che salta? -
- È un grillo. -
- Venite qua, correte:
raperonzoli cogliete. -
- E' non son essi. -
- Sì, sono. -
- Colei,
o colei,
vie' qua,
vie' qua
pe' funghi. -
- Costà,
costà,
pel sermolino. -
- No' staren troppo,
che 'l tempo si turba! -
- E' balena! -
- E' truona! -
- E vespero già suona. -
- Non è egli ancor nona! -
- Odi, odi,
è l'usignol che canta:
"Più bel v'è,
più bel v'è." -
- I' sento... e non so che. -
- Ove? -
- Dove? -
- In quel cespuglio. -
Tocca, picchia, ritocca,
mentre che 'l busso cresce,
ed una serpe n'esce.
- Omè trista! - Omè lassa! -
- Omè! -
Fugendo tutte di paura piene,
una gran piova viene.
Qual sdrucciola,
qual cade,
qual si punge lo pede.
A terra van ghirlande;
tal ciò ch'ha colto lascia, e tal percuote:
tiensi beata chi più correr puote.
Sì fiso stetti il dì che lor mirai,
ch'io non m'avidi e tutto mi bagnai.
gehörte eigentlich in die schublade... sei's drum
parallalie - 7. Aug, 18:20
Rom und Catull
Sei nicht schockiert, Fremder,
wenn wir immer noch den
Genius des Catull nachahmen.
Da du nicht mehr die meine
sein willst, mich auch nicht mehr
mit keiner Liebe lieben willst,
werde meine Geliebte und
verkauf mir deinen Körper,
aber zu einem guten Preis;
ich vergelt’s dir mit Bildnissen
oder Cäsarenköpfen,
im Unterschied zu denen,
die ihre Schulden nur
mit Schwanzköpfen begleichen.
Valentino Zeichen - dt. von mir
Schwanzköpfe: eigtl. "teste di cazzo", was soviel wie "Arschgeigen", "Arschlöcher", "Blödmänner", "Idioten" usw. usf. Aber ich wollte auch mal so eine schöne Übersetzung hinlegen wie den berühmten "Mutterficker" in der deutschen Version von Vonneguts "Schlachhof Nr. 5" (oder war's Schlachthaus?)
parallalie - 18. Jul, 19:40
komisch' blümchen
was wächst'n du so?
von wem gepflanzt
hier auf'm 'flixt'n hügel?
wer bat'n dich zu wachsen?
warum gehst'n nich'?
was'n los mit dein'n orange
rot'n spitz'n? ich hatt' den eindruck
du wärst so was wie 'ne
art vollkommener natur.
bist's? o, echt?
wackl'ich im wind - jaaa.
da! seh' dir zu füßen 'nen strauß
buh kett
sie'm kleine äffchen sind's
nicht so hoch wie du
und 'ne schwester von dir
weiter unten am abhang
und der ganze anhang
zur linken -
letzte woche
dacht' ich, ihr wärt grabschmuck für
mich, der
nie geburt noch
tod gewollt'
aber jetzt glaub'
ich, daß ich durch
meinen
hohl'n kopf red'
Jack KEROUAC, Book of Blues (dt. von mir)
die zweite zeile hieß zunächst "wuchsest warum", aber die neue version mag lieber ein "wecks-/wächs-" evozieren : drum
parallalie - 11. Feb, 19:33